Stilübungen (Exercice de style)

Ein Kochrezept ist ein Kochrezept, ist ein Kochrezept? Nicht unbedingt. So erzählt der französische Schriftsteller Marcel Bénabou beispielsweise die Schöpfungsgeschichte kurzerhand neu, bleibt aber ganz beim Herd: "Am Anfang schuf Gott Hirn und Eintopf. Und der Eintopf war wüst und leer, und es herrschte Fisch auf der Terrine; und der Gast Gottes schwebte auf dem Weltmeer." 

 

Auch eine Zeitungsnachricht oder irgend ein anderes, belangloses Alltagsgeschehen lässt sich in fremde Textformen gießen. So hat es Raymond Quenau in seinem berühmten Buch "Exercices de style" vorgemacht. Oder wir lassen uns selbst was einfallen. Zum Beispiel indem wir eine kleine Angestellte namens Madame Perrec gleich mehrfach an ihre Arbeitgeberin schreiben lassen. Ihr Wunsch: Eine Gehaltserhöhung. Ein Gemeinschaftswerk von Benjamin Engert, Johann Engert und Annegret Grafen:

 

"Sehr geehrte Frau Direktorin,

ich wende mich heute mit einem speziellen Wunsch an Sie. Da ich weiß, wie viel Wert Sie dem Stil beimessen, ich mir aber unsicher bin, welcher zu meinem Anliegen passt, lege ich Ihnen hiermit ein paar Varianten vor. Suchen Sie sich eine aus!"

 


[AMTSSCHREIBEN]

Angesichts der langen Zugehörigkeit meiner Person an Ihrem Unternehmen ergeht hiermit die Bitte an Sie, eine Prüfung hinsichtlich der Erhöhung meines Gehalts vorzunehmen. Im Falle einer Ablehnung behalte ich mir weitere Schritte vor, diese können bis hin zu einer Kündigung meinerseits reichen. 

 

[TWITTER]

@Direktorin: Heute wieder zu wenig bekommen. Habe genug von #unterbezahlung. Ich will endlich mehr!

#gerechtigkeit #wagegap

 

[WERBETEXT]

Denken Sie heute schon an morgen! Die Zukunft Ihres Unternehmens liegt in der Motivation Ihrer Mitarbeiter. Großzügigkeit zählt. Ein attraktives Gehalt ist nicht alles, aber schon eine ganze Menge. Sprechen wir darüber! 

 

[KINDERREIM]

Nette Frau Direktorin,

Erfolg lässt dich nicht kalt.

Der Schlüssel dazu liegt worin?

Natürlich im Gehalt!

Gib mir deshalb mehr davon,

Du wirst es nicht bereun.

So ein, zwei hundert Euro mehr

würden mich echt freun. 

 

[SATIRE]

Gewiss haben auch Sie von den aktuellen, länderübergreifenden Studien gehört, die nachweisen, dass das Glück der Menschen nur wenig mit ihrem materiellen Wohlstand zu tun hat. Im Gegenteil: Arme Menschen leben oft zufriedener als solche mit hohem Einkommen und Konsumniveau. Da ich gewisse Defizite in meinem Glücksempfinden feststelle, bitte ich Sie daher zu prüfen, ob Sie mein Gehalt ein weiteres Mal absenken könnten. Mir ist durchaus bewusst, dass dieses bereits heute weit unter Tarif liegt, doch sollte mit ausreichend gutem Willen eine gewisse Verminderung noch möglich sein. 

 

[MATHE-AUFGABE]

Madame Perrec will eine Gehaltserhöhung von 721 €. Sie verdient 2745 €. Wenn sie ihre Direktorin um eine Gehaltserhöhung um 5 % fragt, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ihrer Bitte stattgegeben wird bei 13 %. Berechnen Sie, wie oft Madame Perrec durchschnittlich nach einer Gehaltserhöhung fragen muss, um ihr anfängliches Ziel zu erreichen.

 

[FERNSEHZEITSCHRIFT]

Die schüchterne aber clevere Madame Perrec kriegt seit Jahren zu wenig Geld für Ihren Job als Stylistin. Sie traut sich einfach nicht, nach einer Gehaltserhöhung zu fragen. Doch als ihr Freund arbeitslos wird, erkennt sie, dass sie etwas tun muss. Sie stößt auf eine Selbsthilfegruppe und alles ändert sich… 

 

[BIBEL]

 

[PHILOSOPHIE]

§ 7. Vom endlichen und unendlichen Gehalte der dialektischen Arbeit:

An dieser Stelle erscheint unserer Reflexion die Notwendigkeit einer Erklärung, weshalb nun alle Bestimmungen des empirischen Gehalts dialektischer Arbeit – als, wie gesehen, höchster Ver- mittlungsleistung der primär disparaten Existenzbestimmungen und –Stoffe – in der rein transzendentalen Reflexion un- zureichend erscheint, d.i., uns als endlich entgegentritt da, wo die Bestimmung jedes Gehalts, um nicht Contradictio in Adiecto zu sein, unendlich zu sein hätte, im Bereich nämlich der dialektischen Selbstergreifung des Gehalts als Begriff. Hierfür müssen wir zuvörderst, in einer zweiten, von dieser ersten getrennten, aufsteigenden Dialektik, und in einer gleichsam zweiten Vermittlung der synthetischen Disjunkte zwischen dialektischer, d.i. unendlicher Arbeit, und empirischem, d.i. endlichem Gehalte dieser Arbeit, das Gehalt letztendlich, endlich einmal, auf eine höhere Stufe heben, auf dem es selbst als unendlich, die Arbeit dagegen als endlich bestimmt werden kann.

 


 

Potenzieller DUDEN-Eintrag